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EMK

Lyon oder: meine Entdeckung des Vereinslebens

Annika Wappelhorst

Bericht von Annika Wappelhorst (EMK, 5. Semester)

 

Als ich Weimar nach zwei Semestern verlassen habe, glaubte ich zu wissen, was mir zweifellos fehlen würde: den wunderbaren Sternenhimmel beim Überqueren der Sternbrücke im nächtlichen Ilmpark anzusehen, Kommilitonen zufällig über den Weg zu laufen (ein Hoch auf das Kleinstadt-Leben) und einen Latte Macchiato mit Sojamilch für 1 € in der berühmten M18 (dem super gemütlichen Studierendenhaus) zu trinken. Und natürlich um 09:10 loszufahren, wenn der erste Kurs um 09:15 begann (auf dem Fahrrad und mit einer kleinen Verspätung, zugegeben).

Bei meiner Ankunft in Lyon merkte ich schnell, dass Weimar mir doch nicht so sehr fehlen würde. Trotz der Größe der Stadt kreuzte ich bei einem Stadtspaziergang oft andere EMKler (was wir den „Weimar-Effekt“ getauft haben – ein EMK-Studierender zieht Seinesgleichen auf natürliche Weise an). Die Lichtverschmutzung machte die nächtliche Sternebeobachtung unmöglich, aber die wunderbar erleuchteten Brücken über der Rhône und der Saône machten das wett. Der kurze Weg zur Uni in Weimar wurde durch einen anstrengenden, verhältnismäßig langen Weg per Tram ersetzt, um zum Campus von Bron zu gelangen - eine halbe Stunde, eingezwängt zwischen einer Masse von Studierenden im einzigen vernünftigen Transportmittel zwischen Lyon und Bron. Selbst an dieser Strecke habe ich Gefallen gefunden: mit einem Buch in der Hand war ich in meiner Blase, auch wenn ich mich in der Menge manchmal kaum aufrecht halten konnte.

In der Mithilfe bei verschiedenen Vereinen mit Sitz in Lyon bin ich am meisten aufgegangen. Die nennenswerten Vereine, an denen ich teilgenommen habe, waren unterschiedlicher Natur. Ein halbes Jahr lang habe ich an der Essensausgabe an bedürftige Personen, also vor allem obdachlosen Menschen, mitgeholfen. Die meisten Mitglieder waren Berufstätige maghrebinischer Herkunft, die mich und eine Freundin von EMK herzlich in ihr Team aufgenommen haben.

Seit meiner Ankunft bin ich ebenfalls aktives Mitglied von „Sentience Lyon“, einem mit Mitteln der Université Lumière Lyon 2 finanzierten Verein. Er ist darauf ausgerichtet, den veganen Lebensstil zu verbreiten und das Bewusstsein wecken, dass nicht nur Menschen fühlende Lebewesen sind. Eine unserer Strategien waren selbstverständlich vegane Buffets – was gibt es Leichteres, um Studierende für ein Event zu motivieren als kostenloses Essen? Als ich mit drei anderen Mitgliedern Ko-Präsidentin geworden bin (als einzige Ausländerin), habe ich verstanden, wie ein französischer Verein wirklich funktioniert: vom Status als Verein bei der Präfektur von Lyon bis hin zur jährlichen Subventionsanfrage bei der Uni (inklusive kleiner Jurysitzung). Wir haben Kochworkshops, Konferenzen und Filmprojektionen organisiert – was nicht immer reibungslos verlaufen ist, unter anderem weil man Bürokratie in Frankreich anscheinend sehr schätzt.

Von Zeit zu Zeit betreue ich die Stände des AVF, des französischen Vegetarierbundes. Da er offen für alle Altersgruppen ist, haben die Veranstaltungen mich oft dazu veranlasst, mit Personen aus den unterschiedlichsten Milieus ins Gespräch zu kommen. Andere Aktivismus-Gruppen für Tierrechte haben mich dazu gebracht, mich auszutauschen und teils hitzige Diskussionen mit Menschen zu führen, die anderer Meinung sind. Dazu braucht es schon Vokabular!

Ich ermutige also jeden – allen voran die Deutschen, die in Lyon ankommen – sich über Vereine zu informieren, die ihnen interessant erscheinen. Für mich war das eine exzellente Möglichkeit, interessante Menschen kennenzulernen, gute Freunde zu finden, an meinem Französisch zu feilen und eine bereichernde Beschäftigung zu haben, der ich meine Zeit außerhalb der (zahlreichen) Vorlesungen und Seminare widmen konnte.